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Handel mit nicht anerkanntem Saatgut: ein Kavaliersdelikt?

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Das Verwenden und Handeln von Saatgut unterliegt in Deutschland den Bestimmungen des Saatgutrechts. Die Saatgutverkehrskontrolle erläutert, worauf es beim Saatgutverkehr ankommt.

Produktionsfaktor Saatgut
Vielen Landwirten wird zur Herbstaussaat 2013 noch einmal das Frühjahr 2012 mit seinen Auswinterungsverlusten ins Gedächtnis kommen.

Diese Extremsituation hat einmal mehr die wesentliche Bedeutung des Saatguts als Produktionsfaktor deutlich gemacht: Ohne hochwertiges Saatgut ist kein ertragreicher Pflanzenbau möglich. Dabei sind einerseits Kriterien wie Keimfähigkeit, Reinheit und Besatz für die Qualität des Saatguts entscheidend, welche direkt Einfluss auf den Feldaufgang und die Bestandsetablierung haben. Andererseits beeinflussen die Sorteneigenschaften maßgeblich die Ertragschancen und langfristig tragen neue, verbesserte Sorten durch den sogenannten züchterischen Fortschritt zur Produktivitätssteigerung der Pflanzenproduktion bei.
Gleichzeitig ist Saatgut jedoch eine Ware, der die genannten Qualitätsmerkmale nicht anzusehen sind, weshalb der Gesetzgeber sowohl Mindestanforderungen an die Saatgutbeschaffenheit formuliert, als auch der Beförderung des züchterischen Fortschritts und dem Schutz des geistigen Eigentums des Züchters mit dem Saatgutanerkennungsverfahren Rechnung getragen hat. Im Saatgutrecht sind daher das (öffentliche) Verkehrsrecht und das (private) Sortenrecht zu unterscheiden.

Feldbesichtiger
Feldbesichtiger - © Willi ThielWilli Thiel
Im Anerkennungsverfahren ist die Feldbesichtigung ein Baustein zur Qualitätssicherung von Saatgut für den Saatgutverbraucher.

Saatgutverkehrsrecht
Die grundsätzlichen Voraussetzungen für das Inverkehrbringen, Abfüllen und Bearbeiten von Saatgut sind im Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) und den dazu gehörigen Verordnungen (Saatgutverordnung, Saatgutaufzeichnungsverordnung, Pflanzkartoffelverordnung) festgelegt. Danach darf Saatgut nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es anerkannt ist. Zu den Anerkennungskriterien gehören Sortenzulassung, Gesundheit, Keimfähigkeit, Besatz und Reinheit. Darüber hinaus enthält das Saatgutverkehrsrecht Anforderungen für die Kennzeichnung und Verschließung sowie für die betrieblichen Aufzeichnungen beim Handel und bei der Bearbeitung von Saatgut. Das Saatgutverkehrsrecht und dabei vor allem das Anerkennungsverfahren ermöglicht es den Verbrauchern von Saatgut, sich sowohl in Bezug auf die unmittelbaren Qualitätsmerkmale der Ware Saatgut abzusichern als auch sich pflanzenbaulich gezielt für die durch die Sorte bestimmten Qualitätsmerkmale zu entscheiden. Mit dem System der Saatgutqualitätssicherung, das sich in Niedersachsen zum einen durch die Anerkennungsstelle für Saat- und Pflanzgut und zum anderen der Verkehrskontrolle von Saatgut durch die Prüfdienste bei der Landwirtschaftskammer zusammensetzt, ist es gelungen, seit Jahrzehnten die Versorgung mit qualitativ hochwertigem Saatgut sicherzustellen und zu verbessern und den Wettbewerb der unterschiedlichen Züchtungssorten zu ermöglichen. 

SVK-Probenahme im Lager
Saatgutverkehrskontrolle - Probenahme im Lager - © Heike Wolters-BeckerHeike Wolters-Becker
Ein weiterer Baustein ist die Saatgutverkehrskontrolle im Handel auf Beschaffenheit wie Keimfähigkeit. Der Verkauf von nicht anerkanntem Getreide (Konsumware) zu Saatzwecken wird in der Regel über eine Buchprüfung ermittelt.

Sortenschutzrecht
Die Entwicklung einer solchen neuen Sorte dauert regelmäßig mindestens zehn Jahre und kostet den Züchter ca. eine Million Euro. Um diese züchterische Leistung zu honorieren, zu bewahren und auch die künftige Entwicklung neuer Sorten und so den züchterischen Fortschritt zu fördern, wurde das Sortenschutzgesetz (SortG) geschaffen. Dessen Ziel ist es, dem Züchter bei Vorliegen der Schutzvoraussetzungen ein Verbietungsrecht gegenüber Dritten sowie eine Grundlage für den Abschluss von Produktions- und Vertriebslizenzverträgen zu verschaffen und so Züchtung auch wirtschaftlich möglich zu machen.

Der Sortenschutz ist ein dem Zivilrecht zuzuordnendes, gewerbliches Schutzrecht, dessen Schutzgegenstand eine bestimmte neue Pflanzensorte ist. Der Schutz umfasst nicht nur das konkrete Vermehrungsmaterial, sondern die Gesamtheit der für die Pflanzensorte entscheidenden genetischen Information, die im Wege der natürlichen Vererbung an nachkommende Generationen weitergegeben wird. Die Wirkung des Sortenschutzes erfasst dabei die gesamte Produktions- und Vertriebskette: Nur vom Sortenschutzinhaber lizensierte Unternehmen sind berechtigt, Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte zu erzeugen, für Vermehrungszwecke aufzubereiten, in den Verkehr zu bringen, ein- oder auszuführen oder zu einem dieser Zwecke aufzubewahren.

Ausgenommen von diesem Schutz sind nur der rechtmäßige Nachbau geschützter Sorten (Landwirteprivileg) unter Entrichtung der fälligen Nachbaugebühr sowie die Nutzung einer Sorte als Basis für weitere Züchtung (Züchtervorbehalt).

Im Falle von Verstößen gegen das Sortenschutzrecht kann der Sortenschutzinhaber den jeweiligen Verletzer auf Unterlassung des verletzenden Verhaltens verklagen und für den entstandenen Schaden Ersatzansprüche geltend machen.



Saatgutverkehrsrecht und Sortenschutzrecht sind streng voneinander zu trennen. Während der Sortenschutz zivilrechtlich besteht, gehört das Saatgutverkehrsgesetz dem öffentlichen Recht an und beide Rechtsgebiete gelten unabhängig voneinander.

Saatgutknappheit im Frühjahr 2012
Vor diesem rechtlichen Hintergrund muss auch die Situation im Frühjahr 2012 mit seinen außergewöhnlichen Auswinterungsverlusten – allein in NRW wurden laut IT-NRW ca. 50.000 ha mit Sommergetreide nachbestellt – gesehen werden. Außergewöhnlich an der Situation war vor allem, dass nicht nur in Deutschland, sondern kurzfristig auch auf dem europäischen Markt nur wenig Sommerungssaatgut vorhanden war, was auf die rückläufigen Vermehrungsflächen für Sommerungen der letzten Jahre und das Ausmaß der Kahlfröste in 2012 zurückzuführen sein dürfte.

Für solche Notsituationen sieht das Saatgutverkehrsrecht mehrere Möglichkeiten vor:

  1. Zunächst kann die Saatgutmenge durch die Entscheidung der Züchter erhöht werden, indem Z2-Saatgut mit geringeren Beschaffenheitsansprüchen zugelassen wird. Diese Möglichkeit setzt jedoch zum einen die Bereitschaft der Züchter zu dieser Maßnahme voraus. Zum anderen muss die Zulassung von Z2-Ware zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem auch noch entsprechend feldbeschaute Ware vorhanden ist, die noch nicht als Konsumware verkauft und verarbeitet wurde.
  2. EIne weitere Möglichkeit ist die Herabsetzung der gesetzlichen Beschaffenheitsanforderungen für Saatgut durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Analog zu Z2-Ware muss auch in diesem Fall zur Anerkennung vorgestellte Ware vorhanden sein.
  3. Als dritte Möglichkeit kann das BMELV sogenanntes Behelfssaatgut, also Ernteware ohne Anerkennungsverfahren oder Beschaffenheitsprüfung zulassen.

Für die beiden letzteren Lösungen ist allerdings ein ca. zweiwöchiges Antragsverfahren beim BMELV und der EU-Kommission notwendig.

Von allen vorgenannten Möglichkeiten wurde im Frühjahr 2012 keinen Gebrauch gemacht. Stattdessen wurde vermehrt Konsumware ohne Anerkennung ausgesät.

Das Aussäen von Konsumware selbst ist dabei verkehrsrechtlich nicht verboten. Gemäß Sortenrecht muss der Landwirt dazu jedoch eine Lizenz bzw. einen Schadensersatz für den Nachbau an den Züchter (bzw. die Saatgut-Treuhand Verwaltungs GmbH) entrichten.

Der Handel mit Konsumware zu Saatzwecken ist jedoch saatgutverkehrsrechtlich verboten. Der Saatzweck liegt nachweislich dann vor, wenn der Preis der Partie deutlich über dem Konsumwarenpreis liegt. Wenn dann die Partie zusätzlich aufbereitet und ggf. sogar gebeizt gehandelt wird, ist eine andere Verwendung als die zur Aussaat unwahrscheinlich oder gar nicht mehr möglich.

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) hat im Rahmen der amtlichen Saatgutverkehrskontrolle festgestellt, dass in NRW im Jahr 2012 in großem Umfang Konsumware zu Saatzwecken in den Verkehr gebracht wurde. Dabei wurde aus der Notsituation der Landwirte in großem Umfang Kapital geschlagen und für „Saatgut“ minderer Qualität (z. B. Verkauf von Wintergetreide als Sommerung) horrende Preise verlangt – es sind Preise von bis zu 94 Euro/dt für Konsum-Sommerweizen bekannt. Zudem sind Fälle bekannt, in denen Z-Saatgut, welches mit großem Aufwand vom Handel beigeschafft wurde, aufgrund des großen Konsumwareangebots nicht verkauft werden konnte; diesen ist durch das ordnungswidrige Inverkehrbringen von Konsumware zu Saatzwecken durch Konkurrenten ein erheblicher Schaden entstanden.

Aus diesen Gründen wird der ordnungswidrige Handel mit nicht anerkanntem Saatgut verfolgt und der daraus entstandene (ordnungswidrig erwirtschaftete) Profit mit Hilfe von Bußgeldverfahren abgeschöpft.

In einer Notsituation wie im Frühjahr 2012 sollten die drei obenstehenden rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, was vor allem vom frühzeitigen Reagieren auf mögliche Auswinterungsverluste, von einem verantwortungsvollen Handeln der Züchter und von einer kurzfristigen Reaktion der zuständigen Behörden abhängt.


Fazit
Beim Inverkehrbringen und Verwenden von Saatgut sind zwei Rechtsgebiete zu unterscheiden: das private Sortenschutzrecht, bei dem der Verwender dem Sortenschutzinhaber zur Entrichtung der Nutzungslizenzgebühr verpflichtet ist und das öffentliche Saatgutverkehrsrecht, das es untersagt, Saatgut ohne Anerkennung in den Verkehr zu bringen. Das Inverkehrbringen von Konsumware zu Saatzwecken verstößt gegen den Kern des Saatgutverkehrsrechtes und hebelt die Qualitätssicherung sowie das Sortenrecht gleichermaßen aus. Dies geht zu Lasten der Landwirtschaft und stört empfindlich den Saatgutmarkt. Der Handel mit nicht anerkanntem Saatgut kann daher nicht als Kavalierdelikt bezeichnet werden, weshalb er durch die Saatgutverkehrskontrollstellen der Länder – in Niedersachsen die Prüfdienste der Landwirtschaftskammer – verfolgt und geahndet wird.