Weniger chemischer Pflanzenschutz erfordert mehr Erfindungsreichtum im Ackerbau
20. Pflanzenbautagung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen lotet Konsequenzen und Möglichkeiten der politisch geforderten Reduktionsstrategie aus

„Gesellschaft und Politik streben danach, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren“, berichtete Kammerpräsident Gerhard Schwetje mit Blick auf die Reduktionsstrategie, die die Partnerinnen und Partner des Naturschutzbündnisses „Der Niedersächsische Weg“ erst Mitte Februar 2023 vorgestellt hatten.
Schwetje: Bereits auf dem Weg zu Pflanzenschutz-Reduktionszielen

Eine weitergehende Einschränkung des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel führt nicht nur in Teilen der ackerbaulichen Praxis zu intensiven Debatten, sondern ist auch in der Wissenschaft ein Thema: Die jüngsten Pläne der Europäischen Union basierten auf einer gesellschaftspolitischen Fehlbewertung des Pflanzenschutzes, betonte Prof. Dr. Andreas von Tiedemann von der Georg-August Universität Göttingen in seiner Analyse.
Tiedemann: Moderne Pflanzenschutzmittel haben kein Potenzial, um Arten zu eliminieren

„Das Konzept des chemischen Pflanzenschutzes, die Herunterregulierung von Schaderregerpopulationen unter die wirtschaftliche Schadensschwelle, und zwar nur bis zur Ernte, wird offenbar nur von den Wenigsten verstanden“, folgerte der Pflanzenschutzexperte der Uni Göttingen. Pflanzenschutz sei die falsche Stellschraube zur Regulierung von Biodiversität.
Pflanzenschutzpolitik sei seit Jahren eine Getriebene von Kampagnen, sagte Tiedemann weiter. „Wir haben Kampagnen auch gegen grüne Gentechnik oder Corona-Impfungen erlebt, in letzterem Fall hat die Politik klug und sachgerecht gehandelt – dies wäre ein gutes Beispiel zur Beherzigung auch in den beiden anderen Technologiefeldern.
Dehler: Betriebe müssen mit Anpassungskosten rechnen

Eine Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes könne hingegen zu Anpassungskosten von bis zu 125 Euro pro Hektar führen, rechnete Dehler den Gästen der Pflanzenbautagung vor. „Anpassungskosten entstehen unter anderem durch Ertragseinbußen, höhere Arbeitserledigungskosten etwa durch mechanische Unkrautregulierung oder auch höhere Kosten für Pflanzenschutzmittel in Folge einer veränderten Wirkstoff- und Produktauswahl.“
Obergrenze, Steuer, Prämien- oder Lizenzmodell denkbar
Um die Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes politisch durchzusetzen, seien verschiedene Wege denkbar, führte Dehler weiter aus: etwa einzelbetriebliche Obergrenzen über das Ordnungsrecht, eine Pflanzenschutzmittel-Steuer, ein Prämienmodell sowie ein Lizenzmodell mit handelbaren Nutzungsrechten. „Kern der Lizenz-Idee ist, dass es eine fixe Anzahl an Nutzungsrechten in Deutschland gibt, die Landwirtinnen und Landwirte untereinander handeln können; der Preis setzt sich aus Angebot und Nachfrage zusammen.“
Schacht: Weizensorten mit guter Resistenzausstattung
Auch im Hinblick auf eine effizientere Verwertung der Stickstoffdüngung seien bereits praxistaugliche Lösungsansätze aufgezeigt worden, fügte Schacht hinzu. „Herausforderungen für die Züchterinnen und Züchter bleiben die Resistenzen gegen Virosen, Insekten und samenbürtigen Krankheiten wie zum Beispiel Steinbrand.“ Der Produktionsfaktor Sorte und zertifiziertes Saatgut müsse aufgewertet werden um die Forschungs- und Entwicklungskosten der Zuchtunternehmen zu refinanzieren, sagte der Weizenexperte.
Howind: Positive Effekte durch geeignete Vor- und Zwischenfrüchte

Doch es bleibe die Frage, ob solche Kulturen auch bei größerer Anbaubedeutung beim Pflanzenschutz extensiv blieben, fuhr Howind fort. Für weitere positive Effekte beim Einsparen chemischer Pflanzenschutzmittel könnten geeignete Vor- und Zwischenfrüchte in den etablierten Kulturpflanzen sorgen. „Diesen und weiteren Fragen geht die Landwirtschaftskammer unter anderem in einem groß angelegten Feldversuch an der Elbmündung nach – die ersten Ergebnisse sind vielversprechend“, hob Howind hervor. „Doch die Fruchtfolgegestaltung ist ein langwieriger Prozess, der viele weitere Einflussfaktoren einbeziehen muss – dadurch werden die Betriebe die ideale Fruchtfolge zukünftig noch individueller entscheiden müssen als bisher.“
Benecke: Anwendungsbedingungen für Biostimulanzien genauer definieren

„In ersten Versuchen mit Biostimulanzien konnte noch nicht klar herausgearbeitet werden, unter welchen Bedingungen ein positives Ergebnis, bezogen auf den Ertrag oder die Qualität des Ernteproduktes, sicher eintreten kann“, sagte Benecke. Sie forderte die Hersteller und Vertriebler dieser Produkte auf, Anwendungsbedingungen genauer zu definieren. „Bei Biostimulanzien können wir nicht mit der Dosis-Wirkungs-Beziehung rechnen, die wir aus dem Pflanzenschutz kennen.“

Schwetje: Betroffene Betriebe nicht überfordern
Bei der Umsetzung der Reduktionsziele beim chemischen Pflanzenschutz sei es wichtig, die betroffenen Betriebe nicht zu überfordern, ergänzte Kammerpräsident Schwetje. Zur Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern werde sich die LWK den nötigen Fragestellungen vollumfänglich stellen: „von der Innovationsentwicklung zu vielseitigen Ackerbausystemen und zur digitalen Präzision bei Planung und Ausbringung, über gezielte Beratung zum integrierten Pflanzenbau mit standortgerechter Sortenwahl und Fruchtfolge“.
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